Background im Porträt: Joyce van de Garde, Leiterin für Innovation und Digitalisierung der Alliander AG
Die Niederländerin Joyce van de Garde verliebte sich bei einem Auslandssemester in Deutschland. Positionen in der Telekommunikationsbranche und bei der niederländischen Post machten sie zur Digitalisierungsexpertin. Heute entwickelt sie für Alliander unter anderem eine digitale Plattform, auf der Erzeuger und Verbraucher erneuerbarer Energien zusammenfinden sollen.
Joyce van de Garde hat einen facettenreichen Werdegang hinter sich: Über 15 Jahre arbeitete sie in verschiedenen Positionen der Telekommunikationsbranche und fünf Jahre bei der niederländischen Post. Seit vergangenem Jahr ist sie in der Energiebranche tätig – als Leiterin für Innovation und Digitalisierung bei der Alliander AG in Berlin.
Die Alliander AG ist ein deutsches Tochterunternehmen des größten Strom- und Gasnetzbetreibers der Niederlande, Alliander NV. Van de Garde leitet ein kleines, fünfköpfiges Team, das sich um die Unternehmensentwicklung kümmert. „Wir entwickeln verschiedene digitale Infrastrukturlösungen für die deutsche Energiewirtschaft. Viele davon sind schon in den Niederlanden im Einsatz“, sagt sie. Im Moment liegt der gesamte Fokus auf einer Plattform für erneuerbare Energien, die regionale Erzeuger und Kunden näher zusammenbringen soll. „Verbraucher können selbst entscheiden, von welcher Wind- oder auch Biogasanlage sie ihren Strom beziehen möchten“, sagt van de Garde. „Wir zeigen ihnen auf die Anlage genau, woher der Strom kommt.“
Bei Auslandsemester in Deutschland verliebt
Begonnen hat die Karriere der gebürtigen Niederländerin mit einem VWL-Studium an der Erasmus-Universität in Rotterdam, für das sie von der kleinen Küstengemeinde Middelburg in die Großstadt gezogen war. „Damals hatte ich keine konkreten Ziele“, sagt die 49-Jährige. „Ich wollte die Welt entdecken und habe mich wegen der internationalen Möglichkeiten für das Wirtschaftsstudium entschieden.“ Noch während des Studiums machte sie ein Auslandsemester in Hamburg, verliebte sich in Deutschland und „blieb hängen“, wie sie sagt.
Nach dem Abschluss begann sie schließlich in der Telekommunikationsberatung und arbeitete bei Beratungsfirmen in Ratingen und Bonn. „Am Anfang der Marktliberalisierung gab es viele regulatorische Fragen“, sagt sie. „Mein Team hat damals der Telekom und Tochterfirmen in Osteuropa geholfen, sich darauf vorzubereiten.“ Schon in ihrer Diplomarbeit hatte sie sich mit dem rechtlichen Rahmen der Marktliberalisierung auseinandergesetzt. 2003 heuerte van de Garde schließlich direkt bei der Telekom in Bonn an, wo sie fünf Jahre blieb.
Im Jahr 2007 folgte die Rückkehr nach Rotterdam für einen MBA als Aufbaustudium. „Ich hatte zwar schon Volkswirtschaft studiert, wollte aber meine betriebswirtschaftliche Seite weiterentwickeln“, sagt sie. „Der Mehrwert war groß, weil ich mit praktischer Erfahrung ins Studium gegangen bin.“ Anschließend wechselte sie auf der Suche nach neuen Herausforderungen zur niederländischen Post in Den Haag.
Expertin für Digitalisierungsprojekte
Dort musste sie als Programm-Managering zuerst eine große Umstrukturierung in der Hauptniederlassung durchführen, bei der viele Mitarbeiter entlassen wurden. „Ein solcher Einschnitt ist nicht leicht“, sagt sie. „Es ist wichtig, offen und ehrlich zu sein. Wir haben versucht, die Leute mit einem guten Übergangsprogramm zu begleiten.“ Nachdem diese Aufgabe erfüllt war, leitete van de Garde ein Digitalisierungsprojekt im Personalwesen der PostNL. „Wir haben den Anwerbungsprozess für Postboten in Teilzeit digitalisiert“, sagt sie. „Letztendlich wurden zirka 30.000 Briefträger geworben, ohne dass – bis auf den Arbeitsvertrag – ein einziges Blatt Papier dafür nötig war.“
Schließlich wechselte van de Garde wieder in den Telekommunikationsbereich, zum holländischen Konzern KPN. Dort leitete sie ein Digitalisierungsprogramm und stieg zur Leiterin des hauseigenen Inkubators auf. Beispielsweise entwickelte ihre Abteilung neue Smart-home-Lösungen, mit denen sich mittels des Mobiltelefons die Wohnung steuern lässt. Heutzutage sind es wieder neue digitale Lösungen – nur eben für die deutsche Energiewirtschaft.
Privat lebt van de Garde mit ihrem Freund in Den Haag. Vor Corona pendelte sie viel zwischen den Niederlanden und Berlin. Jetzt ist sie nur noch einmal im Monat in Deutschland. „Wir haben mit der Digitalisierung des Arbeitsplatzes positive Erfahrungen gemacht“, sagt sie. „Selbst Kundentermine lassen sich wunderbar per Videocall abhalten.“ So bleibt mehr Zeit für ihre Freizeit, in der sie viel Fahrrad fährt oder am Strand schwimmen geht. Nur ihr anstehender runder Geburtstag bereitet ihr Problem – denn Feiern lassen sich nur schlecht digitalisieren. Lukas Haas
Wer rettet das Klima – die Politik oder der Einzelne?
Beide sind wichtig, aber aus meiner Sicht bedarf es in erster Linie einer konsequenten und integrativen klimapolitischen Agenda sowie einer sehr guten Kommunikation seitens der Politik, um wirklich große Teile der Gesellschaft von der Wichtigkeit der Sache zu überzeugen und eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft herbeizuführen. Genau das fordern ja zum Beispiel auch Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung, da Einzelne bezogen auf strukturell systemisch verortete Themen nur bedingten Einfluss nehmen können.
Auf welchen Flug würden Sie nie verzichten?
Auf den Ausflug mit dem Fahrrad ans Meer.
Wer aus der Energie- und Klimawelt hat Sie am meisten beeindruckt?
Greta Thunberg für ihren Mut und Entschlossenheit und Elon Musk für seine Ideen. Er hat ganz klar die Elektromobilität vorangetrieben und sie salonfähig gemacht.
Welche Idee bringt die Energiewende voran?
Ganz klar grüner Wasserstoff – ohne das Molekül werden wir es vermutlich nicht schaffen, die Schwerindustrie (Stahl & Chemie) und die Luftfahrt zu dekarbonisieren. Daran gekoppelt ist natürlich der Ausbau der Erneuerbaren. Die Erneuerbaren spielen eine wesentliche Rolle, um vor allem auch die Energiewirtschaft (als weltweit größten Verursacher von CO2 Emissionen) umfangreich neu auszurichten und die Herstellung von grünem Wasserstoff in großem Maßstab überhaupt erst zu ermöglichen. Aus Sonne und Wind Energie zu erzeugen, halte ich nach wie vor für die einfachste, aber genialste Idee der vergangenen Jahrzehnte.
Der Artikel wurde am 21.09.20 im Tagesspiegel Background Energie & Klima von Lukas Haas veröffentlich: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/joyce-van-de-garde